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Durch das Jahr mit Wolfgang Golz – November

Nebelung
Weiß schwebt der Nebel schon in allen Senken.
Die Herden stehen längst im warmen Stall.
Gespenstisch quillt der Bach aus seinen Uferbänken
und raucht das Wasser über den zerstampften Tränken,
und Schemen wachsen plötzlich überall.

Unter der großen Fichte

Nebelung nannte man früher den November. Das beschreibt seinen Namen treffend. Oft verwischt jetzt der Nebel die Konturen der Landschaft. Den kurzen Tagen fällt es immer schwerer, sich gegen die Dunkelheit zu wehren. Schon am späten Nachmittag verläßt einen das Tageslicht, ehe man richtig etwas unternommen hat. So muß ich schon einen freien Tag nutzen, um einen neuen Stand einzurichten.

Der Stand unter der großen Fichte soll verlegt werden. Im Laufe der Zeit hat der Baum jedes Jahr seine Arme ein Stück weiter ausgebreitet, ist der Bestand um die Lichtung immer höher gewachsen. So sind die Völker langsam aus der Besonnung gerückt. Es ist dunkel auf diesem Stand geworden. Das hat nicht nur das Kleinklima der Waldlichtung verändert, auch der Bodenbewuchs hat einen Wechsel erfahren.

Unter dem dichten Schatten- und Regendach der Fichte ist das Gras zurückgewichen. Trockene Nadelstreu bedeckt den Boden. Das ist für die anlandenden Bienen sicher angenehm, zeigt aber auch, dass hier kein Sonnenstrahl mehr Einlaß findet. Haarfeines Gras, das einst vor dem Stand und unter den Bäumen wuchs, ist hartem Schneidegras gewichen, das seine breiten Halme dem gedämpften Licht entgegenstreckt. Es ist typisch für kühle Lagen, während das haarhalmige Gras auf trockneren, zumindest zeitweise besonnten Waldböden wächst.

Mir war das alles nicht entgangen, aber ich mochte den sehr bequem anzufahrenden Platz nicht aufgeben, solange sich nichts Nachteiliges einstellte. Doch im vorangegangenen Sommer gingen hier gleich zwei junge Königinnen beim Begattungsflug verloren. Das war für einen kleinen Gruppenstand schon recht ungewöhnlich. Vielleicht hatten sie sich in der meist kühlen Witterung verflogen. Die Bienen müssen hier auch hoch hinaus, ehe sie über die hohen Baumwipfel, eine ziemliche Strecke zurücklegend, in die Weite der Landschaft gelangen. Das zehrt im Frühjahr an den Flugbienen. So sahen die Völker nach dem späten Frühjahr jämmerlich aus und brauchten den ganzen Sommer, um sich wieder zu erholen. Ein Volk ließ schließlich nur leere Waben zurück.

Neulich fragte mich ein Imker, wie es angehen könnte, dass seine Völker gut überwintert hätten, während die seines Nachbarn, der sonst ein tüchtiger Imker sei, alle eingingen. Diese hätten nachweislich starken Nosemabefall gehabt. Bei gleichem Bienenmaterial und ähnlich guter Pflege kann das Kleinklima des Standes einen entscheidenden Einfluß ausüben. Die Völker des verschonten Imkers standen an einem günstigen Platz. Die eingegangenen Völker waren auf einem dunklen, von hohen Bäumen umgebenen Standort untergebracht. Bei weicherem Bienenmaterial hätten meine Völker unter der großen Fichte sicher auch alle das Zeitliche gesegnet.

Irgendwo steht in der Bibel: „Geh' zur Ameise, du Fauler und lerne von ihr!“

Ich sah mich in zweifacher Weise betroffen: Aus einer gewissen Bequemlichkeit hatte ich die Verlegung des Standes nicht rechtzeitig vorgenommen. Und konnte ich nicht oft genug beobachten, wie ein Ameisenvolk seinen Standort an einen neuen, besonnten Platz verlegte, weil der alte durch den Wuchs der Bäume in den Schatten geraten war?

An der neu erwählten Bleibe quirlte emsiges Leben. Nestmaterial und Insassen des alten Hügels wurden auf belebten Ameisenstraßen von den Arbeiterinnen zum neuen Bau transportiert. Eines Tages lag das alte Nest verlassen da und sank langsam in sich zusammen, während der neue Ameisenhaufen mit jedem Tag zunahm.

Ich hielt es für klug, dem Beispiel der Ameisen zu folgen und den bisherigen Trachtplatz nicht aufzugeben sondern nur zu verlegen.

So durchstreife ich heute das angrenzende Kiefernaltholz, das Durchforstungen geräumiger gemacht hatten, das aber durch Unterpflanzungen bereits neu bestockt worden ist. Ich entdecke auch eine offene Stelle, aber sie ist unwegsam. Nicht weit davon finde ich, was ich suche.

Das Altholz ist hier sehr licht. Es ist einer der bevorzugten Plätze des Wildes, auf denen es sich gern aufhält. Indem es sich hier öfter einstellt, hat das Damwild die Nachpflanzung immer wieder zurückgebissen. Den Rest hat der zuständige Rehblock blankgefegt.

Hier dürften die Bienenvölker für die nächsten Jahre ein gutes Zuhause finden, ohne, dass die Hirsche wesentlich davon Notiz nehmen. Als ich zum alten Standort zurückkehre, empfinde ich spürbar den Temperaturunterschied im Gegensatz zum besonnten Platz, der in Zukunft die Völker beherbergen soll.

Ganz will ich aber dem Beispiel der Ameisen nicht folgen. Ich könnte zwar im tiefen Winter die Völker auf diese kurze Distanz versetzen, aber unsere Winter sind dazu oft nicht beständig genug. Das könnte zum Verlust vieler Flugbienen führen. So tausche ich lieber den Besatz zweier Stände aus, die ich beide verlegen will. Durch irgendwelche Umstände ist das gewöhnlich jedes Jahr der Fall, sind etwa 10 Prozent des Gesamtbestandes meiner Standimkerei davon betroffen. Es ist immer eine Freude und Genugtuung, zu erleben, wie sich die Völker am neuen Standort besser entwickeln, was auch in den meisten Fällen zutrifft.

Um diese Zeit bereitet das Umfahren der Völker keine Probleme.

Die Fluglöcher werden ohne weitere Vorkehrungen verschlossen und am neuen Standort erst geöffnet, wenn die Völker sich nach der Fahrt wieder beruhigt haben. Solange keine tiefen Temperaturen herrschen, die ein Verklammen von Bienen innerhalb der Beute befürchten lassen, steht dem Austausch der Völker nichts im Wege.

Dabei ist mir meine Frau immer eine gute Hilfe, denn ein geräumiger Kasten wie die Längslagerbeute läßt sich schlecht allein transportieren.

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