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Durch das Jahr mit Wolfgang Golz – März

Blühender Weidenbusch
Wenn einer die, die lange Not gelitten,
bewirtet, wie wird der bedrängt!
Wie wird des' Speise, ohne ihn zu bitten,
aus seiner Hand gestritten und zerschnitten
und hastig in den leeren Mund gezwängt!

Die Wulfsburg

Mitte Februar bekomme ich bei meinen Spaziergängen die ersten Lerchen zu hören. Aber der Nachwinter verdirbt ihnen gewöhnlich noch einmal die Lust am Singen. Beständiger meldet sich da die Misteldrossel. Ihr jubelnder Ruf in das wintermüde Land ist das Fanal des Frühlings. Wenn die Singdrossel dann im März ihre wohlklingende Weise ertönen lässt und in der Dämmerung die Schwarzdrosseln die Gärten mit ihrem Gesang verzaubern, der in der Stille des Morgens zu einem vielstimmigen Konzert anschwillt, dann keimt überall Hoffnung – in den Schellen der Schneeglöckchen, in den grün gepunkteten Laternen der Märzbecher – und in den Herzen der Menschen.

Das Rebhuhn lockt im Feld, und polternd steigt der gockende Fasanenhahn von seinem Schlafbaum.

Im Moor gaukeln die Kiebitze über Wiesen und Weiden, voller Angriffslust und akrobatischer Luftattacken, wenn eine Krähe sich ihrem Revier nähert.

Eine kleine Lichtung, auf der die Völker windgeschützt Unterkunft fanden.

Die Wulfsburg, ein alter, großer Einstellenhof im Moor, einst belebte Fährstation, liegt heute abseits vom Verkehrsgeschehen, seit eine Brücke die Überquerung des kleinen Flusses versorgt. Geblieben ist ein markanter Punkt im Moor mit einem kleinen, vor langer Zeit gepflanzten Wald, der gegen sauren Boden, Sturm, Brombeergerank und Birkenbeflug ankämpfen muss, durch gelegentliches menschliches Eingreifen hin und wieder aus der Umklammerung befreit. Eine Kette von Nestern der roten Waldameise beherrscht trotz des nassen Untergrundes und häufiger Besuche des Grünspechtes den kleinen Waldbestand.

Die meisten Bienenstände im Moor verdanke ich meinem verstorbenen Imkerfreund Jan, der jeden Bauern und jeden Weg im Moor kannte. Er half mir sogar, diesen Stand einzurichten.

Alte, kernige Eichenäste, die wir als Fallholz moosüberwuchert vorfanden, dienten als Pfähle, die leicht in den feuchten Moorboden zu treiben waren, dazu einige glatte Querzhölzer; mehr bedurfte es nicht, um den Kästen eine geeignete Unterlage zu verschaffen. In das wilde Gestrüpp aus Vogelbeere und Birke wurde eine kleine Lichtung geschlagen, auf der die Völker windgeschützt Unterkunft fanden.

Es ist besser, ein paar Weidenbüsche zu pflanzen, als gleich an Ersatzpollen zu denken.

Im Moor ist den Bienen der Tisch mit reichem Pollenangebot gedeckt. Weidenkätzchen verschiedener Art, später auch die Birke, versorgen die Völker in der Entwicklungsphase.

Nach der Weidenblüte folgen Löwenzahn, Faulbaum und Weidenröschen als Nektarlieferanten. Da das Trachtvorkommen jedoch sporadisch beschränkt bleibt, gibt es keine Massentrachten. Hin und wieder liefern Birke und Eiche auch Honigtau, aber dessen Ergiebigkeit reicht hier nie an die der Wälder heran.

Nach nassen Jahren blüht reichlich der „Wiesenraps“, das Wiesenschaumkraut, das die Bienen aber zugunsten des Löwenzahns vernachlässigen, während in trockenen Sommern der Weißklee mit seinem Blütenteppich einzelne Weiden überzieht.

Dann fließt viel dunkelbrauner Kleepollen in die Völker, aber die großen Klee-Ernten vergangener Jahrzehnte gibt es auch im Moor nicht mehr. Faulbaum, Weidenröschen, Him- und Brombeere sind heute die wichtigsten Trachtpflanzen.

Oft wird behauptet, das Moorwasser übe eine heilsame Wirkung auf die Bienenvölker aus. Aber ich meine, die gute Kondition der Moorvölker hat andere Ursachen. Die natürliche Entwicklungstracht, das laufend gute Pollenangebot bis in den Spätsommer hinein, wenn die Heide hier und da noch in Restflächen blüht, fördern einen guten Brutumsatz, lassen die Völker nicht so leicht Mangel leiden. Dieser tritt hier auch nicht so leicht ein, weil das Trachtangebot meistens in guter Reichweite der Völker liegt, bei nassem Wetter die Wiesen nicht so schnell gemäht werden und ihnen somit eine längere Blütezeit beschert wird, zumal die Flächen dann nicht befahrbar sind.

So lebten die Völker im nasskalten Sommer 1984 vorwiegend vom Hahnenfuß, von dem die Imker nicht viel halten, den die Bienen aber jedes Jahr, wenn auch ohne große Zunahmen zu erzielen, befliegen. Ein weiterer Entwicklungsvorteil der Moorvölker ist darin zu sehen, dass sie immer auf handgreifliche Distanz Wasser zur Verfügung haben, das der feuchte Moorboden mit seiner großen Saugfähigkeit so recht bienengemäß für sie bereithält. Andererseits verleitet das die Sammlerinnen oft in allernächster Nähe des Standes zur Wasseraufnahme. Es entzieht sich meiner Kenntnis, ob die Säurewerte des Moorwassers in der Lage sind, Nosemasporen abzutöten. Solche Überlegungen haben mich nie wieder bekümmert, seit ich eine robuste, ortsangepaßte Biene auslese. Ich weiß aber von früher, dass die Bienen auch im Moor sehr wohl an Nosema erkranken können. Einige meiner Imkerkollegen im Moor füttern deshalb regelmäßig Fumidil, um nicht wieder eine Nosema-Pleite erleben zu müssen, was aber auf die Dauer dadurch nicht verhindert wird.

Den Vorteilen für die Entwicklung der Völker im Moor steht deren stärkere Schwarmneigung gegenüber, die hier im Gegensatz zu anderen Biotopen auffällt. Da spielen das gute Pollenangebot, die Erstarkung der Völker durch Weiden- und Löwenzahnblüte, das geringe Aufkommen an Tautracht und das leichtere Versagen der Nektartracht durch Wind und Nässe eine Rolle.

Entwicklungs- und Trachtrhythmus stehen dadurch im Laufe des Sommers oft in Widerspruch zueinander.

Die größeren Imker, die im Moor wohnen, machen deshalb aus der Not eine Tugend. Sie wandern in den Raps, teilen und schröpfen dort die Völker, um sie im Herbst und Frühjahr wieder auf die Normzahl ihrer Wandereinheiten zu vereinigen.

Für mich stellte sich die Frage, ob die häufig auf den Moorständen auftretende Schwarmstimmung unumgänglich ist oder ob auch hier eine genetische Lösung Abhilfe bringen kann.

Mit der Alpencarnica war darin kein Durchbruch zu erzielen. Sie schafft zwar stärkere Völker als die Nachkommen der Heidebiene, die im Moor noch bei kleineren Imkern existieren, aber der Anteil der schwarmlustigen Völker der Alpencarnica ist dabei nicht wesentlich geringer. Ein Lichtblick war der Einsatz der Buckfastbiene auf diesen Ständen. Hier bestand die Schwarmträgheit der Buckfast ihre Feuerprobe für mich. Wenngleich auch einige Völker mit zweijähriger Königin Schwarmstimmung zeigten, so hob sich diese Biene in jener Eigenschaft oft sehr positiv ab. Als ein Manko empfand ich jedoch den oft zu beobachtenden Flugbienenschwund. Ihre volIplattigen, geilen Brutnester waren bestechend, standen jedoch öfter im Gegensatz zu ihrer Belagerungsstärke und einige Buckfastvölker schafften es trotz des enormen Brutnachschubes nie zur Trachtreife. Einen Wandel führten auch auf den Moorständen die still umweiselnden Völker der Carpato-Carnica herbei, die aus dieser Herkunft leicht auszulesen sind.

Es geschah zunächst mehr zufällig, dass ich zwei Carpaten- Völker auf diesen Stand brachte. Eines davon pflegte bei alter Königin eine Umweiselungszelle. Da es einen nach meiner Einschätzung niedrigen Brutstand von ca. 10 Waben hatte, entfernte ich, unwissend wie ich noch um die Eigenschaften dieser Biene war, Königin und Weiselzelle und verschaffte dem Volk eine Buckfastkönigin. Sehr zu meinem späteren Ärger, denn aus dem relativ geringen Brutstand der Carpatokönigin entstand eine Honigmenge, die an verdeckelter Wabenfläche dem drei- bis vierfachen des vorangegangenen Brutsatzes entsprach. Das ist in einer Massentracht sicher nichts besonderes, aber auf einem Läppertrachtstand schon.

In der Folge übernahm ein Schwesternvolk des durch mich verunglückten Carpatenvolkes die Führung des Standes, indem es den Zuchtstoff für die Umweiselung der schwarmlustigen Völker (bei fortlaufender Standbegattung) lieferte.

So entstand im Laufe der Jahre ohne Hilfe einer Belegstelle ein Bestand mit der Grundlage: sichere Überwinterung, wenig Arbeit, sichere Ernten.

Das Jahr 1984 bescherte den meisten Imkern eine unbändige Schwarmlust ihrer Völker. Die Moorstände sind dafür, ähnlich wie die Rapswanderung, ein besonders zuverlässiges Barometer. Auf dem beschriebenen Stand wurde ein Volk vom Schwarmfieber erfasst. Es war eine Testkönigin allernobelster Reinzuchtabstammung, deren Volk nun über 20 Schwarmzellen präsentierte! Eine solche Vehemenz an Schwarmstimmung war mir schon aus der Erinnerung gekommen. Ich fühlte mich um viele Jahr zurückversetzt und die Tatsache, die ich so oft moniert habe, dass der Rassezugehörigkeit zu Lasten der benötigten Eigenschaften zu viel Beachtung geschenkt wird, behält für mich weiterhin ihre Bestätigung. Hier ist zweifellos viel versäumt, auch nicht eingesehen worden, der Schwarmlust mit dem eigentlichen Mittel der Auslese zu begegnen. (*Anmerkung 1) Stattdessen hat man den Imkern Schwarmverhinderungsmethoden, wie in letzter Zeit den Demaree-Plan, schmackhaft gemacht.

Ganz sicher kommt bei den Rapsimkern hinzu, dass eine Volksverstärkung die Schwarmstimmung begünstigt, der man dann wieder durch entsprechende Schröpfungen zuvorkommen muss.

Natürlich sind solche Praktiken verwertbar und bei mangelnder Volksstärke ratsam, um ein gutes Ergebnis aus der Frühtracht zu erzielen. Ganz sicher aber sind sie nicht dazu angetan, den Imker auf die Dauer von der Last des Schwarmtriebes seiner Bienen zu befreien. Dagegen hilft nur gezielte Auslese stark überwinternder, schwarmträger Völker. Dieses Glaubenshindernis zu nehmen, scheint für den deutschen Imker ein ähnliches Tabu zu sein, wie einst die Überwindung des kleinen Brutraumes und das Märchen der Nichttauglichkeit standbegatteter Zuchtmütter. (*Anmerkung 2) Ein Ergebnis jahrzehntelanger Schulung, die nicht auf die primären Erfordernisse wirtschaftlicher Bienenzüchtung ausgerichtet ist.

Ein Moorstand mit einem schwarmträgen Besatz, daran mochte ich früher auch nicht so recht glauben. Heute erlebe ich, dass dieses durchaus möglich ist. Und ich bin überzeugt, dass auch die Rapsimker auf die Dauer der Schwarmstimmung Herr werden können, ohne zu arbeitsreichen Notlösungen Zuflucht nehmen zu müssen, wenn sie sich konsequent daranmachen, jene Völker zu vermehren, die aus eigener Kraft ein gutes Ergebnis aus der Rapstracht erzielen, ohne dabei in Schwarmstimmung zu geraten.

Dabei spielt weniger die Rasse oder Reinpaarung eine Rolle, als vielmehr die Fähigkeit der Zuchtvölker, solche Eigenschaften zu zeigen und zu vererben.

Bis zur Frühtracht bleibt noch etwas Zeit, darüber nachzudenken.

Wenn die ersten Salweiden blühen und ein sonniger Tag seinen blauen Himmel darüberbreitet, dann ist das wie ein Erlösungsfest für Bienen, Hummeln und Schmetterlinge, die die Weidenkätzchen regelrecht plündern. Es ist besser ein paar Weidenbüsche zu pflanzen, als gleich an Ersatzpollen zu denken. Genauso bringt es mehr Gewinn, den natürlichen Lebensbedingungen des Bienenvolkes nachzugehen, sie zu erforschen, als alles selbst in die Hand nehmen zu wollen.

Anmerkung 1: Bei solchen kleinen Seitenhieben gegen die Reinzucht, die sich in Golz' Texten öfters finden, bedenke man bitte, wann diese Texte geschrieben wurden. Wolfgang Golz wurde damals dafür, dass er seine Erfahrungen und Überzeugungen öffentlich vertreten hat, in weiten Kreisen der Imkerschaft, besonders von den Carnicazüchtern, angefeindet. Aus dieser Spannungssituation heraus erklären sich solche Spitzen.

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Anmerkung 2: Dieses „Märchen der Nichttauglichkeit standbegatteter Zuchtmütter“ wird nach wie vor fleißig wiederholt. Sucht man mittels der Suchmaschine seines Vertrauens im Internet nach den Namen der Autoren solcher Aussagen, findet man nicht selten und ohne viel Mühe ihre Homepage, auf der sie sich als Königinnenzüchter und -verkäufer zu erkennen geben. Wobei – zuweilen – „Zucht“ in diesem Zusammenhang bedeutet, eine oder mehrere Reinzuchtköniginnen zu kaufen und diese dann per Standbegattung zu vermehren. Die Töchter werden dann als „Wirtschaftsköniginnen“ angeboten.

Vor diesem Hintergrund wird die Vehemenz, mit der die Zucht per Standbegattung über Jahrzehnte hinweg als undurchführbar dargestellt wird, allzu verständlich.

Dem entgegen stehen die langjährigen Erfahrungen der Basiszüchter. Offensichtlich haben die Autoren des Eingangs erwähnten „Märchens“ nie den Versuch gemacht, eine Mutterlinie über mehrere Generationen bei Standbegattung auszulesen. Sonst wüssten sie, dass die so gefürchtete Aufspaltung der F2-Generation die Grundlage für eine strenge Auslese bietet. Liest man in dieser Generation die besten Völker – die also den eigenen Zuchtvorstellungen am ehesten entsprechen – zur Vermehrung aus, während man die anderen z.B. durch Umweiselung von der Zucht ausschließt und wiederholt das in jeder Generation gewissenhaft, so kommt man innerhalb weniger Jahre zu einem ausgeglichenen, robusten Bestand mit guten Leistungen.

Es sei auch hier noch einmal erwähnt: Das Wesentliche an der Zucht ist die ständige Selektion in jeder Bienengeneration. Davon befreit auch keine kontrollierte Anpaarung.

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